Zwei Jahre Videospielhistoriker – wie alles begann…

Als ich vor gut zwei Jahren mit diesem Blog begonnen habe, geschah das nicht ohne einen gewissen Hintergrund. Ich näherte mich langsam dem Ende meines Studiums an und da stellte sich die Frage, worüber ich denn meine Masterarbeit schreiben würde. Als Lehramtsstudent für Latein und Geschichte gab es nun die Möglichkeiten, entweder etwas fachspezifisches für eines der beiden Fächer zu machen oder in Richtung Pädagogik zu gehen. Latein fiel relativ schnell aus der Auswahl, da ich zum einen schon meine Bachelorarbeit darin geschrieben habe, zum anderen fehlte mir doch eine gewisse Motivation, sich auf gut 80 Seiten mit Cicero, Tacitus und co zu beschäftigen. Auch auf Pädagogik hatte ich nicht allzu viel Lust, da ich im Studiumsverlauf pädagogische Theorie bis zum Umfallen gemacht habe. Also wanderte der Blick in die Geschichte. Da die Themenvielfalt dort fast unendlich ist, ging das Überlegen erstmal weiter. Ich hatte viele verschiedene Seminare in meinem Studium belegt, von Prostitutionsverordnungen im Mittelalter über Fußball im Nationalsozialismus war alles mögliche dabei. Dann kam mir aber ein anderer Gedanke: Ein weiteres Seminar befasste sich mit dem Film über Alexander den Großen aus dem Jahr 2004. In diesem Seminar ging es darum, den Film einmal aus Historikersicht zu betrachten: Auf welche Quellen greift er zurück? Wo versucht er, authentisch zu sein, wo vermeidet er es? Welches Bild wird von Alexander, seinen Gefährten und seinem Feldzug gezeigt? Was für mich erst nach einer kleinen Spielerei klang, entwickelte sich schnell zu einem interessanten und tiefgehenden Seminar. Die Themenfelder Geschichtsbilder und Geschichtskultur waren mit bis zu diesem Seminar unbekannt. Doch der entscheidende Moment kam in der letzten Sitzung des Seminars: Unser Dozent bedankte sich bei unserer Teilnahme und meinte, dass dieses Thema definitiv noch mehr Spielraum bietet. Man müsse sich ja nicht nur Filme angucken, sondern könne auch andere Medien betrachten: Bücher, Serien oder… Computerspiele!

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Der „Stone“ des Anstoßes: Die Alexander-Verfilmung aus dem Jahr 2004

Ich hörte auf. Computerspiele? Und überlegte. Denn erst darauf wurde mir bewusst, dass mich solche historischen Videospiele schon seit Kindheitstagen begleiteten: Aufgewachsen mit den Siedlern, Age of Empires, Anno 1602 oder Die Gilde reizten mich vor allem solche Spiele, welche einen klaren historischen Kontext hatten. Davon inspiriert entwickelte sich ein generelles Interesse an Geschichte, welches sich dann auch entsprechend in der Schule zeigte. Mein Zeugnis dankte es. Bei diesen Spielen hatte ich Geschichte jedoch immer nur konsumiert und kaum hinterfragt, was genau einem dort präsentiert wurde. Ich hielt es immer für eine Tatsache, dass Friedrich Barbarossa nach seinem Tod in einem Fass nach Jerusalem gebracht wurde. Oder dass Frauen im Mittelalter problemlos Priesterin oder Bürgermeisterin werden konnten. Oder dass die Römer früher regelmäßig mit Asiaten gekämpft hätten. Geschichte zu spielen war das eine, Geschichte zu hinterfragen und zu dekonstruieren das andere. In ersterem kannte ich mich aus, in letzterem zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Doch das sollte sich hoffentlich ändern.

Denn mit diesem Gedanken im Hinterkopf dachte ich darüber nach, ob man daraus nicht eine Masterarbeit entwickeln könnte. Ich würde mir ein Videospiel und einen historischen Gegenstand nehmen, eine Epoche, ein Volk, eine Person und ihre Darstellung in einem Videospiel analysieren. Da ich aber ungerne „aus dem nichts“ anfangen wollte, hatte ich mir überlegt, mich schon mal vorab mit dem Thema zu beschäftigen. Leider fehlte jedoch das passende Seminar dazu. Also blieb für einen Studenten der Geisteswissenschaft nur ein Ort, an dem ich Antworten finden konnte: Die Bibliothek. Ich gab also in die Suchmaschine unserer Fachbibliothek einfach mal die Stichwörter „Geschichte“ und „Computerspiele“ ein. Ohne große Erwartungen ließ ich mir die Suchergebnisse zeigen… und war überrascht: knapp 30 Treffer wurden mir angezeigt. Klangvolle Titel wie „Frühe Neuzeit im Videospiel: geschichtswissenschaftliche Perspektiven“ von Florian Kerschbaumer oder „Mittelalter-Computer-Spiele“ von Carl Heinze weckten mein Interesse. Ein kurzer Blick in die jeweiligen Bücher genügte, um mich ganz für das Thema zu begeistern. Ab da an wusste ich, womit ich mich um ein Thema für die Masterarbeit bewerben würde.

Während ich mich also mehr und mehr in dieses Thema hineinarbeitete und mir erste Fragestellungen überlegte, kam jedoch etwas dazwischen. Und dieses „etwas“ war keine Kleinigkeit, sondern mein Zweitfach. Die abschließenden Lateinprüfungen bereiteten mir einige Probleme, die vor allem eins kosteten: Zeit. Zeit, die ich nicht hatte, um mich für meine letzten Klausuren vorzubereiten und gleichzeitig eine Masterarbeit zu schreiben. Auch wenn ich also schon die Richtung gefunden hatte, so blieb der Gedanke der Masterarbeit erstmal nur ein Zukunftsgedanke. Die Gegenwart hieß Tacitus übersetzen und Vokabeln lernen. Nichtsdestotrotz wollte ich mich nicht ganz von diesem Thema entfernen und es zumindest „warmhalten“, um dann nach dem Abschluss aller Prüfungen gleich mit dem Thema anfangen zu können. Doch wie sollte ich das machen? In Geschichte hatte ich bereits alle nötigen Seminare belegt. Und zusätzliche Kurse inklusive Arbeiten würden mich zu sehr aus dem Lateinfokus reißen. Und da folgte die Idee: Warum beschäftige ich mich nicht in meiner Freizeit mit diesem Thema und schreibe einen Blog, um die Ergebnisse auch festzuhalten und teilen zu können? Mir war außerdem kein anderer Blog oder ähnliches bekannt, was sich diesem Thema widmete. Also: Warum nicht mal was neues wagen?

Bereits zu meiner Schulzeit hatte ich mit ein paar Freunden einen Blog betrieben, aber das war mehr eine Spielerei, als ein ernstes Unternehmen. Das hier sollte was ernstes werden, langfristig und so. Dementsprechend setzte ich mich ran, holte mir Inspiration aus den oben genannten Büchern und schrieb meine ersten Artikel. „Ernährung in Anno 1404“ oder „Staatsoberhäupter in Civilization V“ waren meine ersten Themen. Opus magnus meines Blogs war aber die mehrteilige Reihe über den Technologiebaum von Civilization V, in welchem ich Epoche für Epoche durchging, wie „glaubwürdig“ dieser war. Diese Frage nach der Authentizität von Geschichte in Videospielen war anfangs noch ein wichtiger Punkt, bis ich jedoch merkte, dass es wenig zielführend ist. Zwar war es ganz interessant, zu überprüfen, ob eine Technologie nun in das Zeitalter passt oder nicht, aber es hatte wenig mit wirklich historischem Arbeiten zu tun. Zumal der Spieler andere Punkte weitaus intensiver wahrnimmt, als die Einteilung von Technologien in Epochen. Die Auswahl der historischen Persönlichkeiten (z.B. in der Civilization-Serie), die Darstellung von Frauen in historischen Videospielen, Aspekte wie Ernährung oder das Konzept von Nationen und Völkern in Videospielen: Hiermit kommt man dem Thema Geschichte in Videospielen weitaus näher, als mit dem einfachen „ist das historisch korrekt?“. Zumal letzteres eh immer schwierig zu sagen ist, aber eventuell gibt es dazu mal einen eigenen Artikel.

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Erstes Untersuchungsobjekt: Der Technologiebaum von Civilization V.

Während die Zulassung zur Masterarbeit also wartete, entwickelte sich mein Blog immer weiter und weiter. Dazu kamen Kontakte zu anderen Bloggern, die sich zum Teil mit demselben Thema beschäftigten, zum Teil andere Verknüpfungspunkte zu Videospielen haben wie z.B. Musik oder Philosophie. Lesenswerte Seiten wie https://spielkritik.com/ oder https://languageatplay.de/ fanden schnell den Weg in meine Schnellleiste. Heute ist die deutsche Game Studies-Szene groß wie nie und ich bin froh, auch ein kleiner Teil davon zu sein. Mein persönliches Highlight war ein Interview zum ersten Addon „Rise and Fall“ für Civilization VI, welches ich mit Pascal von https://languageatplay.de/ geführt habe. Dazu kommen kurze aber knackige Gespräche im Hinterhof des Fakultätsgebäudes in Kiel. 😀 Ebenfalls entstanden Kontakte zum „Arbeitskreis Geschichtswissenschaft und Digitale Spiele„, durch welchen ich wohl die meisten Erkenntnisse zu diesem Thema gewonnen habe. Auch meine mittlerweile (endlich!) begonnene Masterarbeit wird in seinem Quellen- und Literaturverzeichnis einige Werke des Arbeitskreises beinhalten.

„Ein guter Blog ist wie ein guter Wein: er reift mit der Zeit“ – diesen Satz habe ich vor über zwei Jahren gelesen, als ich ein paar „How to“-Artikel zum Thema „Blog erstellen“ gelesen habe. War ich anfangs nicht ganz sicher, ob es nicht eher andersherum sein wird und der Blog still und leise einschläft, so verstehe ich heute, dass dieser Satz definitiv zutrifft. Ich bin froh, vor zwei Jahren mit dem Bloggen angefangen zu haben und in ein paar Monaten hoffentlich mit einer fertigen Masterarbeit zum Thema „Videospiele im Geschichtsunterricht“ mein Studium abzuschließen. Das genaue Thema lautet „Die Darstellung Roms in historischen Strategiespielen“ (eventuell gibt es nach der Fertigstellung auch hier noch einen Artikel dazu) und wird damit den Kreis schließen, in den ich mich vor gut 20 Jahren begeben habe: Als ich mit Siedler II zum ersten Mal ein historisches Strategiespiel gespielt habe. Und mit welchem Volk? Richtig! Den Römern!

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Womit alles begann: Sieder II aus dem Jahr 1993.

Ein Gedanke zu “Zwei Jahre Videospielhistoriker – wie alles begann…

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