Einmal als römischer Kaiser ein Weltreich erobern, einmal eine mittelalterliche Traumstadt gründen, einmal auf den großen Schlachtfeldern des 20. Jahrhunderts kämpfen: Die heutige Spielevielfalt bietet für nahezu jedes historische Setting ein passendes Spiel. Neben den oben genannten „Klassikern“ (jedenfalls, wenn es nach den Verkaufszahlen geht) gibt es aber auch immer wieder Spiele, die eher „unpopuläre“ Abschnitte der Geschichte behandeln. So muss es z.B. auch einen Markt dafür geben, sich mit dem historischen Aufbau des Eisenbahnnetzes in Südamerika beschäftigen zu können, wenn für das Spiel Railway Empire extra ein DLC in diesem Setting angeboten wird. Es gibt heutzutage also kaum ein historisches Setting, welches noch nicht in irgendeiner Form in einem Videospiel aufgetaucht ist.
Das betrifft aber auch Settings, bei welchen die Umsetzung innerhalb eines Videospiels eher „schwierig“ ist. Ein solches Setting ist unbestritten der Nationalsozialismus: Diese Zeit ist untrennbar mit dem Holocaust, mit der Verfolgung und Tötung „minderwertigen Lebens“ und den Angriffskriegen auf andere Nationen verbunden. Diese zu Recht schwer verdaubaren Themen stehen direkt im Kontrast zu dem, was ein Spiel in erster Linie erreichen soll: Den Spielenden zu unterhalten. Deshalb entscheiden sich viele Spiele leider dazu, sich dieser Problematik gar nicht zu stellen, indem sie diese „dunklen“ Kapitel der Geschichte einfach nicht ansprechen. Spiele wie Battlefield 5 ignorieren die NS-Verbrechen komplett und auch Civilization VI erwähnt diese Zeit in seiner Darstellung der deutschen Geschichte in keinem Wort.
Insofern war es ein relativ überraschender Schritt, als im Jahr 2018 mit Through the Darkest of Times ein historisches Strategiespiel in einem ganz besonderen Setting angekündigt wurde: Dieses Spiel sollte nämlich den Widerstand gegen den Nationalsozialismus während des Dritten Reichs in Berlin thematisieren. In dem von dem Studio Paintbucket Games entwickelten Spiel schlüpft der Spielende in die Rolle eines Widerstandskämpfers im Dritten Reich und hat dabei die Aufgabe, seine Widerstandsgruppe durch diese dunklen zwölf Jahre zu führen. Und dabei noch zahlreiche andere Leben zu retten. Ein mutiger Schritt! Denn ist der Widerstand gegen die Nationalsozialisten doch eng mit dem Kampf gegen deren Ideologie verknüpft. Ein solches Spiel kann also nur funktionieren, wenn die NS-Verbrechen und die Auseinandersetzung damit als zentrale Elemente des Spiels thematisiert werden. Deshalb wollen wir im heutigen Artikel einen Blick auf dieses besondere Spiel werfen und schauen, wie es diese Aufgabe bewältigt, den Widerstand gegen den Nationalsozialismus spielerisch umzusetzen.
Widerstand ist Vielfalt
Ein zentrales Element jedes historischen Videospiels ist der Zugang, welches es zu seinem historischen Setting schafft. Während gerade Rollenspiele einen eher bioraphischen Zugang wählen (man erlebt die Geschichte, indem man eine Figur entlang der Geschichte steuert), konzentrieren sich Strategiespiele mehr auf einen chronologischen Zugang: Der Fokus liegt auf zeitlichen Veränderungen. Through the Darkest of Times kombiniert in seinem Zugang beide Elemente, indem es den Spielenden zum einen in die Rolle eines Widerstandskämpfers schlüpfen lässt, ihn zum anderen aber auch mehrere „Zeitstufen“ durchleben lässt.
Um dem Spielenden einen biographischen Zugang zum Spiel zu ermöglichen, benötigt der Spielcharakter aber auch erstmal eine Biographie. Diese wird in Form eines Zufallsgenerators vor dem eigentlichen Beginn des Spiels erstellt. Anhand von verschiedenen Parametern erhält man so kurzerhand einen Charakter mit Namen, Alter, Beruf und „politischer Überzeugung“. Von einer 21-Jährigen kommunistischen Journalistin bis zu einem 42-Jährigen katholisch-konservativen Ingenieur stehen viele Möglichkeiten offen. Zwar kann der Spielende diese Eigenschaften nicht aktiv abändern (und z.B. einen anarchistischen Beamten erstellen!), aber durch unbegrenztes Würfeln sehr nah an seine gewünschte Kombination herankommen.

Der große Clou in Through the Darkest of Times ist, dass diese Merkmale auch spielerische Auswirkungen haben: Während ein Kommunist generell schnell in das Blickfeld von Gestapo und SS gerät, bleibt ein katholisch-konservativer eher „unter dem Radar“. Dafür bringt der Kommunist widerum viel mehr Geld vom Sammeln von Spenden in Arbeitervierteln mit nach Hause. Alle Eigenschaften beeinflussen also auch die Spielweise des Spielenden, wodurch die biographische Vielfalt des Widerstands sehr deutlich wird. Schließlich haben auch die anderen Mitglieder der Widerstandsgruppe eigene Hintergründe, die dann durchaus zu Konflikten führen können. Kommunisten und katholisch-konservative Gruppenmitglieder werden sich z.B. nicht sehr oft zum Tee trinken treffen. So entwickelt sich während des Spielens eine ganz eigene Dynamik.
Neben dieser biographischen kommt dann auch eine zeitliche Vielfalt hinzu. Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus beschränkt sich in Through the Darkest of Times nicht nur auf einen Zeitraum, sondern versucht die gesamte Zeit des Nationalsozialismus an gewissen „Schlüsselmomenten“ zu thematisieren. So gibt es vier Abschnitte, um den Zeitraum zwischen 1933 und 1945 abzudecken: Angefangen bei der „Machtergreifung“ (1933), geht es über den olympischen Spiele (1936) und den Angriffskrieg gegen die Sowjetunion (1941) bis zu den letzten Wochen des Krieges (1945). Alle vier Abschnitte haben dabei ein zentrales Narrativ, in welches sie den Widerstand einbetten.

Im ersten Abschnitt liegt der Fokus auf den Folgen der „Machtergreifung“, vor allem für „nicht-arischen“ Bewohner Deutschlands, während der Abschnitt der olympischen Spiele sich mit dem „Überdecken“ der NS-Verbrechen gegenüber dem Ausland befasst. Abschnitt #3 behandelt den beginnenden Krieg nach „Lebensraum im Osten“ und stellt diesem Narrativ im vierten Abschnitt die bittere Wahrheit der kommenden deutschen Niederlage entgegen. Hierdurch wird dem Spielenden deutlich, mit welchen unterschiedlichen Aufgaben der Widerstand im Dritten Reich konfrontiert war. Mal muss er schützen, mal muss er aufklären und mal muss er „aktiv werden“. Sicherlich lässt sich „der Widerstand“ nicht so verallgemeinern, wie es Through the Darkest of Times tut, aber für die Umsetzung einer vielfältigen Widerstandsbewegung ist diese kreative Entscheidung durchaus richtig gewesen. Denn gerade dann, wenn ein/e nationale/r Konservative/r daran zweifelt, ob es richtig ist, den deutschen Angriff im Osten zu sabotieren und empört von einem kommunistischen Kollegen angefahren wird, ob er Hitler damit nicht unterstützen würde, entwickelt sich eine interessante Dynamik zwischen den einzelnen Mitgliedern der eigenen Widerstandsgruppe. Diese biographische und zeitliche Vielfalt ist ein großer Trumpf von Through the Darkest of Times.
Widerstand bedeutet, sich zu entscheiden!
Wer kennt diese Situation nicht? Man wird in einem Spiel vor eine schwierige Entscheidung gestellt. Baue ich diese Stadt oder nicht? Nehme ich meinen Gegner gefangen oder nicht? Stelle ich Ronaldo in den Sturm oder nicht? Genreübergreifend stellen uns Spiele immer wieder vor die Frage, wie wir in einer Situation handeln wollen. Diese Entscheidungen haben meistens auch Konsequenzen, die wir anfangs noch gar nicht abschätzen können. Wenn die gerade gegründete Stadt z.B. dafür sorgt, dass uns unser übermächtiger Nachbar eine Runde später den Krieg erklärt, so bereuen wir diese Entscheidung dann doch relativ schnell. Und nutzen ggf. eine Möglichkeit, diesen Fehler zu beheben: Wir laden den Spielstand neu! Somit können wir die Entscheidung revidieren und der ungewollten Konsequenz entgehen. Definitiv praktisch… aber gleichzeitig macht es auch den Wert der Entscheidung kaputt, indem es den Prozess zu einer Art „ausprobieren“ umwandelt. Man probiert sich an einem Spielstand so lange aus, bis man die beste Entscheidung gefunden hat.
Through the Darkest of Times würde in dieser Systematik nicht wirklich funktionieren. Denn gerade der Widerstand gegen den Nationalsozialismus zeichnet sich dadurch aus, dass allen Beteiligten die Konsequenzen ihres Handels bewusst gewesen sind. Egal, ob nun ein Stauffenberg oder auch die Geschwister Scholl: Mit der Entscheidung zum Widerstand haben sie einen Weg betreten, von welchem es kein Zurück mehr gab. Um den Spielenden dieses Gefühl ebenfalls erleben zu lassen, haben die Entwickler*Innen bewusst auf eine Zwischenspeicherfunktion verzichtet. Das Spiel speichert sich automatisch am Beginn einer Runde, sodass ein Spielender dazwischen auf sich „alleine“ gestellt ist. Er muss sich entscheiden und dabei die Konsequenzen seines Handels immer im Hinterkopf haben: „Schicke ich meine Mitglieder zum Sammeln los, obwohl sie bereits verdächtigt werden?“. „Drucke ich Flugblätter, obwohl ich das Geld später noch gebrauchen könnte?“. „Überfalle ich einen SS-Transporter, obwohl dabei die ganze Gruppe auffliegen könnte?“. Der Spielende wird laufend mit solchen Entscheidungen und dadurch mit der Gefahr im Leben eines Widerstandskämpfers konfrontiert.

Die Entscheidung, auf eine manuelle Speicherfunktion zu verzichten, ist von den Entwickler*Innen also geschickt gewählt, um den einzelnen Entscheidungen einen wirklichen Mehrwert zu geben. Das gilt auch dafür, dass getroffene Entscheidungen oft auch langfristige Auswirkungen haben. Helfen wir im Jahr 1933 einer Familie, so ist diese in späteren Zeitabschnitten widerum bereit, uns zu helfen. Die Spielwelt von Through the Darkest of Times fühlt sich so zum einen lebendig an, zum anderen aber auch veränderbar. Die Botschaft, dass Faschismus nicht widerstandslos hingenommen werden muss, gilt dabei nicht nur für die im Spiel dargestellt Zeit, sondern kann auch problemlos in die heutige Gesellschaft übernommen werden!
Widerstand ist schwer zu bündeln
Dass der Widerstand im Nationalsozialismus vielfältig gewesen ist, dürfte mittlerweile deutlich geworden sein. Genauso wie der Wille des Spiels, diese Facetten auch alle auftauchen zu lassen. Diese an sich lobenswerten Entscheidungen bringen aber ein Problem mit sich, welches die oben genannten Spielmechaniken nicht auffangen können: Es ist schlichtweg sehr viel Stoff, den das Spiel verarbeiten muss. Man könnte über fast jeden Aspekt des Widerstands im Nationalsozialismus einzelne Monographien verfassen und bräuchte wohl immer noch ein ganzes Zimmer für alle Bücher! Der eigene Anspruch, auf möglichst viele Aspekte einzugehen, sorgt somit für das Problem, dass sich das Spiel an manchen Stellen ein wenig wie Geschichtsunterricht anfühlt. Da ich selbst Geschichtslehrer bin, soll das hier nicht negativ gemeint sein (Das wäre ja noch schöner!), sondern einen Widerspruch aufzeigen, den das Spiel nicht ganz lösen kann: Wie bringe ich all diese Aspekte spielerisch sinnvoll im Spiel unter?
Die Betonung liegt hier auf dem „nicht ganz“, da es dem Spiel an vielen Stellen gelingt, den Spielenden „während des Spiels“ über die Schrecken dieser Zeit aufzuklären. Auf der anderen Seite neigen aber gerade die Sequenzen zwischen den einzelnen „Spielrunden“ dazu, mehr Geschichtsbuch als Videospiel zu sein. Hier wird der Spielende oft mit bestimmten Ereignissen konfrontiert (z.B. dem Reichstagsbrand oder der Bücherverbrennung) und in Form eines kleinen Textadventures muss er dort auf bestimmte Ereignisse reagieren. Doch gerade diese Phasen sorgen oft für spielerischen Leerlauf: Zum einen sind diese Textpassagen teilweise sehr lang und lassen sich nicht überspringen. So interessant diese Texte auch beim ersten Durchspielen sein können, spätestens beim zweiten oder dritten Versuch hemmen sie den Spielfluss doch ungemein. Weiterhin bricht das Spiel hier leider sehr oft mit dem eigenen Prinzip, den Spielenden entscheiden zu lassen. Denn viele Ereignisse sind sehr stringent aufgebaut und geben dem Spielenden nur „Scheinentscheidungen“. Zu Beginn des zweiten Kapitels befindet sich der Spielende z.B. auf einem Luftschiff und sieht dort einen Mann an einem Tisch sitzen. Das Spiel gibt einem nun die Möglichkeit, sich zu ihm zu setzen oder sich an einen Einzeltisch zu setzen.
Entscheidet sich der Spielende dazu, sich zu ihm zu setzen, tut er ebendies und die beiden kommen ins Gespräch. Entscheidet sich der Spielende aber dazu, sich an einen Einzeltisch zu setzen, so ruft ihm der Mann zu, dass man nicht so schüchtern sein solle und der Spielende setzt sich dennoch zu ihm. Somit ist es völlig egal, welche Entscheidung der Spielende hier trifft: Er kann dem intendierten Narrativ des Spiels nicht entkommen. Solche Entscheidungen gibt es leider zuhauf und sie erwecken den Eindruck, dass die Menge an Text und Informationen den Entwickler*Innen bewusst war. Diese langen Textpassagen durch aktive Beteiligung des Spielenden aufzulockern, ist sicherlich ein richtiger Schritt, aber diesen Entscheidungen dann keine Konsequenz beizufügen, wirkt eher wie Beschäftigungstherapie. Hier wäre weniger tatsächlich mehr gewesen, da Through the Darkest of Times in letzter Hinsicht immer noch ein Spiel und kein interaktives Geschichtsbuch ist. Fehlende Konsequenzen sorgen für Belanglosigkeiten und nehmen dem Spiel die Intensität, welche es an anderen Stellen sehr gut erzeugt.

Fazit
Die Entscheidung, aus einer der dunkelsten Zeiten der Menschheitsgeschichte ein Spiel zu machen, welches den Spielenden fortwährend mit den Gräueltaten der Nationalsozialisten konfrontiert, ist gerade in der heutigen Zeit ein mutiger Schritt. Rechtsextreme Anschläge, Angriffe auf Juden und Flüchtlinge und die immer öfter zur Schau gestellte Verwendung von NS-Vokabular machen deutlich, dass der Kampf gegen den Faschismus niemals abgeschlossen, sondern immer wieder fortgeführt werden muss. Through the Darkest of Times liefert genau diese Botschaft und alleine das macht zu einem der wichtigsten Spiele der letzten Jahre. Aber auch abgesehen davon überzeugt es spielerisch als kniffliges Rundenstrategiespiel, in welchem man nur durch taktisches Vorgehen Erfolge erzielen kann. Lediglich die Tatsache, dass das Spiel an einigen Stellen seine Rolle als Spiel vergisst und eher zu einer Art interaktivem Geschichtsbuch wird, stört den Spielfluss ein wenig und holt den Spielenden so aus der eigentlich dichten Atmosphäre heraus. Hier wäre mehr Nähe zum Spiel tatsächlich auch für die eigene Botschaft besser gewesen.
Insgesamt gelingt es den Entwickler*Innen aber sehr gut, den Widerstand gegen den Nationalsozialismus als Spiel umzusetzen. Gleichzeitig beweist Through the Darkest of Times dabei auch, dass die Ausrede, sich von „historisch schwierigen“ Themen aufgrund der schwierigen Einflechtung in das Spielsystem fernzuhalten und sie so komplett zu ignorieren, nicht zählt. Die kluge Implementierung solcher Themen kann gezielt mit einer Botschaft an die heutige Gesellschaft verbunden werden. Spiele sind heutzutage wie kein anderes Medium ein Spiegelbild der Gesellschaft und dürfen nicht mehr nur als losgelöste Unterhaltungssoftware gesehen werden. Das soll nicht bedeuten, dass jetzt jedes Spiel mit historischem Setting nur noch problematisierend geplant wird, sondern dass Spiele zumindest zeigen, dass sich Entwickler*Innen aktiv mit schwierigen Themen auseinandergesetzt und sie nicht „unter den Teppich gekehrt“ haben. Insofern hoffe ich, dass sich gerade die „großen“ Studios hier ein Vorbild an diesem tollen Spiel und dem mutigen Entwicklerstudio nehmen. Dann hätte Through the Darkest of Times nämlich etwas erreicht, was es auch dem Spielenden mitteilen möchte: Egal wie klein man ist – Es lohnt sich immer, sich für seine Überzeugungen einzusetzen!

Noch mehr zum Thema Through the Darkest of Times gibt es in der aktuellen Ausgabe des GAIN-Magazins: Diese könnt ihr hier bestellen!
Hat dies auf >>> HistoryInVideogames.com rebloggt und kommentierte:
Unbedingt lesen. Sehr guter Artikel vom Blog „Videospielhistoriker“ 😉👍
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