Nationalität wechsel dich? – Die „doppelte Staatsbürgerschaft“ in Civilization VI

Ein Herrscher – Ein Volk – Eine Nation: Dieses Spielprinzip ist seit gut 28 Jahren das zentrale Narrativ der Civilization-Serie. In allen sechs Teilen sowie den zahlreichen Spinoffs ist die Serie niemals von diesem Prinzip abgewichen, was für einen so langen Zeitraum sicherlich für eine gewisse Konstanz spricht. Sicherlich gab es immer mal wieder Teile, wo es mehrere Herrscher für eine Nation gab: Griechenland kann im sechsten Teil z.B. sowohl von Perikles, als auch von Gorgo angeführt werden. Aber hier wurde dem oben genannten Motto in den einzelnen Spielen nicht widersprochen: Perikles und Gorgo waren beides Griechen und fest an ihre Nation gebunden. Genauso wie jeder andere Herrscher der Serie… bis zum 5.2.2019. Denn dort führte das Spiel die „doppelte Staatsbürgerschaft“ ein.

Im Fahrwasser des bald erscheinenden AddOns „Gathering Storm“ wurden, wie es schon vorher üblich war, nach und nach die neuen Herrscher und teilweise auch neuen Nationen bekannt gegeben. Neben alten Bekannten wie Mansa Musa oder neuen Gesichtern wie dem Kanadier Wilfrid Laurier wurde am 5.2.2019 ein Video hoch geladen, in welchem Eleonore von Aquitanien als neue Anführerin vorgestellt wurde. Als Anführerin für Frankreich… und England! Damit war die Katze aus dem Sack und zum ersten Mal bricht die Serie mit dem eingangs erwähnten Konzept und baut es um: Ein Herrscher – Zwei Völker – Zwei Nationen. Natürlich wurde diese Entscheidung bereits kurz nach der Veröffentlichung kontrovers diskutiert und viele fragten sich, wie ein Herrscher in zwei Nationen funktionieren könne. Auch ich gehörte zu diesen Leuten und deshalb wollen wir uns im heutigen Blogartikel mit genau dieser Frage beschäftigen. Viel Spass beim Lesen!

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A Storm is coming… in drei Tagen: Gathering Storm erscheint am 14.2.

Eleonore: Liebe, Kronen und Intrigen

Bevor wir uns mit Eleonore im Spiel beschäftigen, ist es wichtig, kurz auf die historische Person zu schauen. Denn ausgerechnet bei Eleonore mit dem bewährten Konzept zu brechen wird (hoffentlich!) nicht völlig aus der Luft gegriffen sein. Also schauen wir uns ihren Werdegang einmal genauer an: um 1122 in Poitiers als Tochter des Herzogs Wilhelm IX. von Aquitanien geboren. Relativ jung heiratete sie 1137 den damaligen König von Frankreich, Ludwig VII., sodass sie sich hier schon Königin von Frankreich nennen konnte. Doch abgesehen davon stand die Ehe wahrscheinlich unter keinem guten Stern, da Eleonore mit Ludwigs relativ frommer Lebensweise wenig anfangen konnte. Auf einer gemeinsamen Reise auf einen Kreuzzug nach Antiochia 1147/48 (sicherlich nicht der romantischste Urlaub) sollte sich die Beziehung auch aufgrund von Vorwürfen der Untreue weiter verschlechtern. Selbst ein Versöhnungsversuch des damaligen Papstes konnte die entstandenen Gräben nur kurz beseitigen, am Ende scheiterte die Ehe und wurde im März 1152 schließlich annulliert. Vorwand war hier eine angeblich „enge Blutsverwandtschaft“ zwischen den beiden.

Eleonore verfiel jedoch nicht in Trauer, sondern bereits 2 Monate später stand die nächste Hochzeit an: Henry Plantagenet, der damalige Herzog der Normandie, sollte der neue Gatte werden und am 18. Mai 1152 heiratete Eleonore schließlich ein zweites Mal. Das pikante an dieser Geschichte ist, dass sie auch „ihr“ Aquitanien mit in die Ehe brachte und Henry somit zwei mächtige Gebietschaften in seiner Hand hatte. Formell gesehen besaß er damit sogar mehr Land, als sein eigentlicher Lehnsherr: Ludwig VII., König von Frankreich! Game of Thrones hätte so eine Geschichte nicht besser schreiben können. Und es wird noch dramatischer: Nachdem sich Henry die Adoption durch den damaligen englischen König Stephan sichern konnte, wurde er nach dessen frühen Tod im Jahr 1154 zum englischen König gekrönt. Und Eleonore damit zur Königin von England. Somit hatte sie mit 32 Jahren bereits zwei Königstitel erlangt, nicht schlecht! Bis zu dessen Tod im Jahr 1189 sollte sie nun als Königin von England an der Seite ihres Mannes regieren, selbst danach wirkte sie als Königsmutter noch aktiv in den Regierungsgeschäften mit. Also alles gut? Nein, denn auch Eleonores zweite Ehe verläuft… nennen wir es mal… unglücklich. Und alles beginnt wieder mit einer Familienangelegenheit: Als es 1170 zu einem Aufstand gegen König Heinrich kommt, beteiligt sich auch sein und Eleonores Sohn Richard (der später als „Löwenherz“ bekannt werden sollte) an diesem. Die Königin stellt sich hier auf die Seite ihre Sohnes und gegen ihren Ehemann, was ihr nach dem Ende der Rebellion 1174 jedoch eine lange Gefangenschaft einbringen sollte: Bis zu Heinrichs Tod spielt sie danach kaum noch eine politische Rolle.

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Ein schönes Stück Land: Das Herzogtum Aquitanien im Mittelalter.

Trotz dieser ganzen familiären Konflikte lässt sich aber wohl nicht bestreiten, dass Eleonore eine relativ einflussreiche Person im mittelalterlichen Europa war. Durch das Erbe des Herzogtums Aquitanien besaß seine eine große und finanziell gesicherte Hausmacht. Weiterhin zeigen die zahlreichen Intrigen und Machtspiele, dass Eleonore auch selbst aktiv danach gesucht hat, aktiv in das politische Geschehen einzugreifen. Wobei wir auch immer im Hinterkopf haben müssen, dass eine solche Darstellung möglicherweise „erzählerisch geschönt“ wurde, da wir heute nur noch sehr ungenaue Quellen über ihre Leben haben. Die Historikerin Ursula Vones-Liebenstein nennt Eleonore ein Paradebeispiel dafür, wie die Geschichte die Persönlichkeit formt und wie Generationen von Schriftstellern und Historikern eine Gestalt aus Fleisch und Blut entstehen lassen, hinter der die historisch bekannten Fakten längst verblaßt sind. [(Vones-Liebenstein, Ursula: Eleonore von Aquitanien. Herrscherin zwischen zwei Reichen. Zürich 2009 (2.Auflage), S. 113)]

Heute gesellen sich zu den Schriftstellern und Historikern auch Videospielentwickler und zu denen wollen wir nun kommen, wenn wir einen Blick auf Eleonore in Civilization VI: Gathering Storm werfen!

Bonus wechsel dich

Schauen wir uns nun die Boni an, so behält Eleonore selbst alle Boni, die entweder Frankreich oder England auch besitzen. Dazu gesellt sich nun ihr persönlicher Bonus „Minnehof, welcher sich dann mit den Boni der anderen beiden Nationen ergänzt. Er selbst sorgt dafür, dass große Werke in einer Stadt den kulturellen Druck auf andere Städte erhöhen: Für jedes große Werk in der Umgebung von neun Feldern der jeweiligen Stadt verlieren andere Städte jede Runde einen Wert Loyalität. Zusätzlich dazu gehen Städte, die dadurch irgendwann in eine Unabhängigkeitsphase gelangen würden, direkt zu Eleonores Nation über. Im Prinzip bietet sich mit Eleonore also ein guter, alter Kultursieg an, der je nach Spielweise mal besser, mal schlechter mit den Boni „ihrer“ Nationen ergänzt werden kann: Während die Franzosen hier mit dem beschleunigten Bau von Weltwundern in der mittleren Spielphase und dem verdoppelten Tourismus aufwarten können, bleiben den Engländern eher wenig am Kombinationsmöglichkeiten. Die Produktions- und Militärboni aus Gathering Storm passen nicht wirklich direkt zu dem kulturellen Bonus von Eleonore.

Abgesehen von den spielerischen Boni gibt es aber noch ein paar kleine Details, die ebenfalls für eine klarere Unterschiedung beider Seiten sorgen sollen: Die französische Eleonore trägt eine Krone auf dem Kopf, ihre englische Version dagegen einen Blumenkranz. Auch im Hintergrund sind je nach Nation zwei andere Gebäude zu sehen: Als Engländerin sieht man die prächtige Abtei Fontevrault in der Region Anjou und der Justizpalast in Poitiers erstrahlt für die französische Herrscherin. Vor allem die Gebäude wurden dabei nicht ohne Grund ausgewählt: Die Abtei Fontevrault wurde maßgeblich von Eleonore und ihrem (englischen) Gatten gefördert und ausgebaut, sodass sie als königliches Grab für sie dienen sollte. Der Justizpalast spiegelt dagegen wieder ihre ersten Jahre wieder, da sie selbst aus Poitiers stammt und dort ihre französische Hausmacht hatte. Auffällig ist, dass sie trotz der unterschiedlichen Kopfbedeckungen und Umgebungen in beiden Version gleich alt aussieht: Somit wirkt es so, als sei es lediglich eine Frage der Umgebung, wo Eleonore gerade geherrscht hat. Dass sie jedoch niemals Königin beider Nationen war, fällt dabei nicht auf. Und dies ist nicht das einzige „Problem“, welches Civilization hier präsentiert.

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Auch im Tod noch lesefreudig: Eleonores Grab in der Abtei Fontevrault.

Hält doppelt wirklich besser?

Mit der Wahl, eine Herrscherin zwei Nationen anführen zu lassen, haben sich die Entwickler der Serie zu einem mutigen Schritt entschieden. Dass man diesen Schritt nach 28 Jahren zum ersten Mal wagt, zeigt aber, wie schwierig er im Gegensatz zum „Mehrere Herrscher für eine Nation“-Prinzip war. Was auch im allgemeinen historischen Grundwissen begründet sein dürfte: Jeder kann mir (hoffentlich!) 5 deutsche Herrscher nennen. Aber wem fällt auf die Schnelle ein Herrscher ein, der über 5 Nationen geherrscht hat? Was hier zusätzlich auffällt, ist das übliche Problem der Definition einer Nation. Civilization geht hier von einem sehr modernen Begriff aus, der die Nation (passenderweise) als eine in festen Grenze lebende Kultur sieht. Doch lässt sich das kaum auf die weltpolitischen Strukturen vor der Moderne übertragen. Bei Eleonore kann man den Ausweg nehmen, dass die Titel der englischen und französischen Königin relativ deutlich sind und genau für die im Spiel dargestellte Geschichte funktionieren. Aber die mittelalterlichen Pendants zu England und Frankreich lassen sich kaum als ganzes Gebilde auffassen, weshalb es schwierig ist, diese als zwei gleichwertig zu regierende „Staaten“ anzusehen.

Interessant ist es nun, dieses Prinzip einmal auf Anführer zu übertragen, die bereits im Spiel vorkamen. Möglichkeiten gibt es auf dem ersten Blick tatsächlich viele, wenn lediglich auf die Titel schaut: Napoleon war neben seinem Amt als französischer Kaiser von 1805-1814 auch König von Italien. Vive la Italia? Oder Victoria: Neben der englischen Krone trug sie von 1876 bis zu ihrem Tod auch den Titel „Kaiserin von Indien“. Kriegt Gandhi also irgendwann ausgerechnet von einer Engländerin Gesellschaft? Wen ihr jetzt beide Fragen für euch mit Nein beantwortet, ist das selten verwunderlich. Denn viel zu sehr sind Napoleon und Victoria mit „ihren“ Nationen verbunden. Eleonore profitiert hier tatsächlich davon, dass sie relativ unbekannt ist. Und dass sie im Geschichtsbewusstsein nicht so fest bei einer Nation verankert ist, wie die oben genannten Vorbilder. Denn wenn über sie berichtet wird, werden immer beide Titel genannt. Aber kein Geschichtsbuch stellt Napoleon als „König von Italien“ vor. Insofern spielt auch das kollektive Geschichtsbewusstsein bei der Auswahl eine gewaltige Rolle, welches diese besondere Doppelrolle bei Eleonore ermöglicht.

Eleonore mag die erste Herrscherin sein, die innerhalb eines Spiels als Anführerin zweier Nationen zur Verfügung steht, aber über die Serie hinweg, gab es bereits den ein oder anderen Herrscher, der unterschiedliche Nationen angeführt hat. Als aktuelles Beispiel ist hier Alexander zu nennen, welcher jahrelang Grieche war, bevor er im sechsten Teil plötzlich zum Makedonen wurde. Auch Maria Theresia war im zweiten Teil noch eine deutsche Anführerin, bevor sie im fünften Teil Österreicherin wurde. Insofern ist die wechselnde Zugehörigkeit nicht ganz, sondern nur innerhalb einer Spielegeneration neu. Aber sie zeigt dem Spieler wunderbar, dass auch unsere historischen Vorbilder in Videospielen am Ende nur Konstrukte sind, die nach Belieben der Entwickler hin und her geschoben werden können. Deshalb ist diese doppelte Staatsangehörigkeit auch nicht so streng historisch zu sehen, sondern man sollte sie viel mehr als interessantes Spielkonzept auffassen, welches hoffentlich auch ebenso spannende Debatten loslässt. Die Diskussion darüber, welcher der nächste „doppelte“ Herrscher sein wird, sind nämlich schon gestartet (Favorit der Wettanbieter: Karl der Große) und wenn sich Spieler über ein Spiel hinaus mit historischen Fragen beschäftigen, ist schon einmal viel gewonnen. Daher gibt es einen Daumen hoch an die Entwickler von Civilization VI für diesen Schritt und wir warten gespannt, was man noch alles Neues in eine über 28 Jahren existierende Serie einbauen kann.

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Links der Grieche, Rechts der Makedone, Auf beiden Bildern: Alexander. Der Wechsel von Nationalitäten ist also nichts (komplett) Neues in der Serie.

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