Videospiele im Geschichtsunterricht? [Teil 2] – Historische Szenarien in Age of Empires II bauen

Wenn man noch weitergehen möchte, könnte man sogar überlegen, Schüler via Ingame- oder Mapeditoren selbst ein historisches Spiel oder Szenarien entwickeln zu lassen. Dabei würden sie selbst den Konstruktionsprozess erleben, sich über ein historisches Ereignis ausgiebig informieren müssen und abschließend entscheiden, an welchem sie Stellen sie eingreifen, um den Gegenstand für ein solches Spiel passend aufzubereiten. Aber zu diesen Überlegungen mehr an anderer Stelle.

Als ich diesen Satz in meinem Artikel von letztem Monat geschrieben hatte, wusste ich nicht, dass diese „andere Stelle“ bereits einen Monat später kommen würde. Bezüglich der Überlegungen zu historischen Videospielen im Geschichtsunterricht hatte ich einige Diskussionen darüber geführt, wie man denn nun ein wie oben beschriebenes Szenario umsetzen könnte. Sowohl innerhalb der „Szene“ auf Twitter, als auch in einem Seminar an der Universität zum Thema Medien im Geschichtsunterricht. Wie Pflanzen im Sommer (ja, ein nicht ganz zur Jahreszeit passender Vergleich!) gedeihen auf verschiedenen Ebenen die Ideen für den pädagogischen Einsatz und da alle Vorschläge aus dem letzten Monat eher vage waren, will ich mit diesem Vorschlag einmal in die Vollen gehen: Wir schauen uns einen konkreten Unterrichtsentwurf an, in welchem die Schüler mit dem Mapeditoren von Age of Empires II ein eigenes, historisches Szenario entwickeln sollen. Und nicht nur Schüler: Wer Lust hat, kann sich natürlich auch gerne selbst einmal ransetzen und versuchen, den kommenden Vorschlag umzusetzen. Gibt am Ende auch eine Benotung! Aber nun genug des Vorgeplänkels und hinein ins Kiel des Jahres 1261. Viel Spass beim Lesen (… oder Bauen).

Is’n hübsches Städtchen, das nehm ich

1261 war kein einfaches Jahr für das junge Kiel. Erst vor wenigen Jahren gegründet, musste es sich gleich einem großen Gegner gegenüberstellen. Oder besser gesagt zwei Gegnern: Herzog Albrecht von Braunschweig und Königin Margarethe von Dänemark. Ersterer war sehr daran interessiert, bei der Königin Eindruck zu schinden, um durch eine Hochzeit in deren Erbfolge zu gelangen. Mit einem großen Heer zog er aus dem Süden (Ja, für Schleswig-Holsteiner liegt Niedersachsen im Süden!) nach Holstein, um die dortigen Städte einzunehmen. So erfuhr Kiel seine erste Belagerung, welche es aber erfolgreich abwehren konnte. Am Ende zog sich Albrecht erfolglos zurück, nachdem er die Stadt weder auf dem Land-, noch auf dem Wasserweg einnehmen konnte. Die Kieler hatten ihre Stadt erfolgreich verteidigt!

Manchmal ist es ganz schön, wenn man bei der Nachforschung Texte findet, die wie gemacht für die eigene Idee zu sein scheinen. Als ich überlegte, wie man die Entwicklung eines historischen Szenarios für Age of Empires II gestalten kann, musste ich auch an die Bedingungen denken, die mir vom Spiel gegeben waren: Das Szenario musste im Mittelalter spielen, da Age of Empires II eben im Mittelalter spielt. Und da Kiel erst im 13. Jahrhundert gegründet wurde, blieben von fast 1000 Jahren Mittelalter gerade einmal 300 Jahre übrig, um ein passendes Szenario zu finden. Warum Kiel? Für das oben genannte Seminar war es mir wichtig, etwas mit regionalem Bezug zu entwickeln. Die Teilnehmer sollten eine Vorstellung davon haben, wie man gerade lokale Geschichte durch dieses Konzept näher bringen kann. Sicherlich wären auch Szenarios möglich gewesen, die in anderen Teilen Deutschlands gespielt hätten, aber hier wollte ich den regionalen Bezug doch gerne verankert haben. Insofern war ich sehr erleichtert, als ich in einem Buch über Kieler Stadtgeschichte einen Text fand, der von einer Belagerung im Jahr 1261 berichtete. Wer sich das ganze einmal komplett nachlesen möchte, bekommt hier einmal eine Chance dazu:

Darstellungstext

Dieser Darstellungstext dient nun also als Grundlage dafür, das eigene Szenario zu entwickeln. In einem Unterrichtsentwurf würde die Aufgabe dann in etwa so klingen: Entwickelt mit Hilfe des Darstellungstextes ein Szenario für das Videospiel „Age of Empires II“, in welchem man den oben beschriebenen Sachverhalt nachspielt.

Problemzonen

Natürlich kann so eine Stunde nicht einfach so in den Unterricht eingebaut werden. Es muss schon „passen“, da hier verschiedene „Probleme“ auftreten: Zum einen benötigt es eine Einführung in den Editor selbst, da es für viele Schüler doch immer noch der erste Kontakt mit einem solchen Programm sein dürfte. Hier muss eventuell eine ganze Stunde eingerechnet werden, um zumindest die Grundlagen des Editors ausführlich zu erklären. Zum anderen muss die Stunde auch thematisch in die gesamte Einheit passen. Hierbei bieten sich zwei Möglichkeiten an: Entweder die Einheit behandelt die Kieler Stadtgeschichte und man setzt die inhaltliche Auseinandersetzung der Belagerung als Teil der Kieler Stadtgeschichte in den Vordergrund, oder man fokussiert sich wirklich mehr auf den Aspekt des „Konstruieren von Geschichte“ und nimmt das historische Setting nur als Aufhänger.

In meiner konkreten Vorstellung habe ich mich für das erstere Szenario entschieden: Innerhalb einer Einheit zur Kieler Stadtgeschichte sollen die Schüler am Ende in Form einer Projektarbeit selbst etwas „historisches“ konstruieren. Das muss eben nicht das Szenario in Age of Empires, sondern kann auch eine Zeitung, ein Buch oder etwas völlig anderes sein. Aber die Option des „Szenario Entwickelns“ wird dabei auch gegeben. Somit umgeht man auch das Problem, dass Schüler sich damit beschäftigen, die schlichtweg keinen Bock haben. Nur weil ich selbst gerne Videospiele spiele, heißt das nicht, dass auch andere diesen Enthusiasmus teilen (so schade das auch klingen mag!). Das gilt insbesondere für Schüler und deshalb sollte man hier schauen, dass man das „erfolgreiche“ Spielen nicht zur Basis von Leistungsbewertungen heranzieht. Hier ist die Teilnahme an diesem Projekt also vollkommen freiwillig.

editor
Wie Lego im Mittelalter: Der Editor von Age of Empires II ermöglicht viele Möglichkeiten beim Erstellen eines Szenarions

Wieso, weshalb, warum…

Jeder Lehrer muss sich in seinem Leben immer wieder die Frage stellen, warum er etwas macht, wie er es macht. Man kann noch so interessante Ideen haben, wenn sie am Ende nicht dabei helfen, den Schülern irgendetwas sinnvolles mitzugeben, haben sie ihren Job im Unterricht gewissermaßen verfehlt. Dasselbe gilt nun auch an dieser Stelle: Warum ist genau diese Vorgehensweise der richtige Weg, um wertvolle Unterrichtszeit (und bei nur zwei Stunden Geschichte die Woche ist Zeit wertvoll!) dafür zu verwenden? Also: Warum ein Szenario bei Age of Empires II bauen?

An erster Stelle ist hier das oben schon erwähnte Ziel, die Schüler Geschichte selbst konstruieren zu lassen. Sie müssen sich aktiv damit auseinandersetzen, wie sie die oben erwähnten Sachverhalte auf der Karte umsetzen: Wie gestalten sie Kiel? Wie groß bauen sie die Armee von Herzog Albrecht von Braunschweig und Königin Margarethe von Dänemark auf? Wie viele „Angriffswellen“ muss der Spieler abwehren, bevor er das Szenario geschafft hat? Diesen eher generellen Fragen stellen sich dann noch weitere, die direkt an das Spiel gebunden sind. So müssen sich die Schüler z.B. Damit beschäftigen, welche Völker sie den jeweiligen Fraktionen zuweisen: Age of Empires II bietet einen großen, aber doch relativ verteilten Pool an Völkern an. Sollen die Kieler Teutonen sein? Oder Wikinger? Oder doch etwas ganz anderes?

In vielen Fragen liegen in der abschließenden Vorstellung der Karte spannende Analysemomente, wo die Schüler dazu Stellung beziehen müssen, warum sie sich beim Erstellen des Szenarios für bestimmte Sachen entschieden haben. Genau diese Fragen sind nun der Vorteil, der sich bei der Arbeit mit Age of Empires II (oder anderen Videospielen) anbietet. Dieses Medium macht es den Schülern leicht zugänglich, „Geschichte zu erstellen“. Zumal historische Setting und die Werkzeuge schon vorgegeben sind: Die Schüler haben einen Darstellungstext, sie haben den Editor und auch schon eine passende Map dazu. Denn im Workshop gibt es eine passende Karte zu Kiel, erstellt vom User DarthLuda, vielen Dank an dieser Stelle!

Kiel
Schon im Mittelalter waren die Brücken in Schleswig-Holstein baufällig: Die Karte von Kiel in Age of Empires II.

Fazit

Fassen wir also alles noch einmal zusammen: Die Schüler bekommen die Aufgabe, ein Szenario innerhalb von Age of Empires II entwickeln, welches sich mit der Belagerung Kiels im Jahr 1261 beschäftigt. An Materialien bekommen sie einen Darstellungstext, eine gründliche Einführung in den InGame-Editor und eine vorgefertigte Karte von Kiel. Dann bekommen sie 2-3 Stunden Zeit, mit dem Darstellungstext als Grundlage ein passendes Szenario zu entwickeln, welches sie am Ende der Projektarbeit präsentieren. Dabei liegt der Fokus aber nicht nur auf dem Produkt an sich, sondern vor allem auf dem Prozess, den die Schüler beim Erstellen durchmachen. Denn hierbei setzen sie sich aktiv mit dem Konstruieren von Geschichte auseinander und sie müssen begründet Entscheidungen treffen, warum sie die Karte so gestaltet haben, wie sie am Ende aussieht. Krönender Abschluss ist es am Ende, wenn das Szenario sogar gespielt werden kann und die Schüler aktiv untereinander ihre gespielte Geschichte erleben.

Dieses etwas ausführlichere Beispiel hat hoffentlich gezeigt, welches didaktische Potenzial InGame-Editoren bieten können. Je nach Spiel kann das ganze Setting auch angepasst werden, da es in fast jedem modernen Spiel auch die Möglichkeit gibt, eigene Karten zu erstellen. Alleine die Age of Empires-Serie deckt (momentan, je nachdem, was Age of Empires IV bringt) hier einen Zeitraum von der Frühzeit bis zur frühen Neuzeit ab. Es wird also interessant zu sehen sein, wie sich solche Überlegungen einmal in der Unterrichtspraxis umsetzen werden. Sofern ich die Chance dazu habe, es einmal auszuprobieren, wird es dazu sicherlich auch einen Blogbeitrag geben. Bis dahin ist aber erstmal Wartezeit angesagt und wer Lust hat, kann sich ja mal selbst ransetzen und ein Szenario zur Belagerung Kiels im Jahr 1261 entwickeln. Eine gelungene Abwechslung zu täglich Weihnachtsmarkt mit Glühwein und Bratwurst!

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