Authentisch griechische Küche, authentisches Aussehen, authentisches Ambiente… wann immer uns etwas besonders schmackhaft gemacht werden soll, wird das Vermitteln eines Gefühls von „Authentizität“ als wichtiges Werbemerkmal herangezogen. Wer will schon einfache griechische Küche haben, wenn er in einem Restaurant „echte“ und „originale“ griechische Küche haben kann? Und das hier in Deutschland! Dieses Bedürfnis, etwas als „echt“ zu empfinden, gehört zu den natürlichsten Eigenschaften eines Menschen. Dabei zeigt es jedoch auch ein gewisses Problem: Was genau ist eigentlich authentisch? Da jeder Mensch auf unserem Planeten eine ganz individuelle Vorstellung von Authentizität haben kann, ist es schwierig, einen Allgemeingültigkeitsanspruch auf echte Authentizität zu stellen. So könnte die authentische griechische Küche aus einem Restaurant in Deutschland einen Griechen, der in Deutschland Urlaub macht, diesen durchaus mit dem Kopf schütteln lassen. Nichtsdestotrotz spielt das Werben mit Authentizität eine große Rolle in der Werbung. Für Essen… für Ambiente… und auch für Videospiele! Denn viele historische Videospiele haben lange Zeit das Vermarkten einer authentischen Welt für sich entdeckt. Das im Spiel dargestellte Szenario soll die Spielerin in das „echte Mittelalter“ oder die „echte Antike“ etc. entführen und sie diese Epoche so erleben lassen, wie sie „wirklich war“. Oftmals dienen Historiker*Innen, Nachschlagewerke oder einfache „Recherche“ als Grundlage für diesen Anspruch auf Authentizität. Frei nach dem Motto: „Schaut mal, wir haben diese Quelle genutzt und uns streng daran gehalten!“.
Bei dieser Logik wird jedoch ein zentrales Problem bei der Authentizitätsproblematik umgangen: Es gibt kein faktisches Wissen über die Vergangenheit. Unser gesamtes Wissen über die Vergangenheit sind Interpretationen, die auf meist schwierigen und (subjektiven) Quellen basieren. So können zwei Historiker*Innen dieselbe Quelle vollkommen unterschiedlichen interpretieren und zu vollkommen unterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen. Insofern können auch Videospiele prinzipiell nicht sagen, dass ihr Spiel ein authentisches Bild einer bestimmten Epoche darstellt, sondern nur darauf verweisen, dass die im Spiel dargsetellten Elemente auf Basis der genutzten Quellen authentisch ist. Doch wer will schon ein „Erlebe ein nach den Darstellungen von Historikerin x und dem alten Pauly authentisches Rom“ lesen, wenn er einfach ein „Erlebe ein authentisches Rom“ lesen kann. Die Entwickler*Innen werden diesen Begriff sicherlich nicht ohne Grund verwenden! Oder…?
Tatsächlich war gerade dieses Bewerben von Authentizität in der Vergangenheit immer wieder ein Grund für verschiedene Probleme innerhalb der Gaming-Welt: So wurde über Kingdom Come: Deliverance und seinen sehr aggressiv vertretenen Anspruch eines authentischen mittelalterlichen Europas lange diskutiert. Problematisch war hier vor allem die von den Entwickler*Innen vertretene Meinung, dass aufgrund dieses Authentizitätsanspruchs nur weiße Menschen in der Spielwelt auftauchen dürften. PoC hätte es damals dort ja nicht gegeben… Auch die „authentische“ Darstellung von Frauen wurde stark kritisiert, was die Entwickler*Innen aber nur dazu bewegte, auf die Gespräche mit Historiker*Innen oder die gesichteten Quellen zu verweisen: „Die haben gesagt, dass das so gewesen ist“. So wurde jegliche Form der Kritik abgewehrt. Auch bei anderen Spielen gab es verschiedene Kontroversen über die „Authentizität“ der dargestellten historischen Inhalte (Battlefield 5, Total War: Rome II, Assassin’s Creed Valhalla). Insofern ist es immer schwierig, wenn historische Spiele mit dem Stempel der „eigenen Authentizität“ werden gehen.
Als am 10.04.2021 im Rahmen einer größeren Marketing-Aktion erste Gameplay-Szenen aus dem vierten Teil der bekannten Age of Empires-Serie präsentiert wurden, verknüpfte das Entwicklerstudio dies ebenfalls mit einer größeren Marketingaktion. Neben den reinen Spielszenen wurden Journalist*Innen aus allen möglichen Ländern eingeladen, um den Entwickler*Innen in Gesprächen und Interviews auf den Zahn fühlen zu können. Eines der an diesem Tag veröffentlichten Interviews wurde auf der Onlinepräsenz von t-online.de veröffentlicht. In diesem spricht der Journalist Ali Vahid Roodsari mit Game Director Quinn Duffy und Narrative Lead Phil Boulle von Entwicklerstudio Relic. Neben den „typischen“ Fragen zu Gameplay und Technik wird an einer Stelle aber auch das Thema „Authentizität“ aufgegriffen.
Was auf dem ersten Lesen ganz positiv klingt (Hey, die haben sich ja richtig Mühe gegeben!), wirft bei genauerem Lesen doch einige Fragen auf: Wie will ein Spiel wirklich ALLE Details „korrekt“ darstellen? Wer definiert, was genau eigentlich „korrekt“ bedeutet? Mit welchen „Historikern und Sprachwissenschaftlern“ wurden hier zusammengearbeitet (und wie genau eigentlich)? Wurde sich bei anderen außereuropäischen Kampagnen auch so viel Mühe gegeben? All diese Frage wirken zudem etwas merkwürdig, wenn man sich die bisherigen Teile der Serie anschaut: Dort wurde mit der Geschichte viel… nennen wir es mal gespielt. Bekehrende Mönche, Kaiser in einem Fass, Jungbrunnen und Säbel werfen Kamelreiter sind alles Elemente, die definitiv der Kreativität der Entwickler*Innen entsprungen sind. Hier zeigt sich, dass eine Freizügigkeit vom Streben nach historischer Genauigkeit nicht schaden, sondern im Gegenteil sogar förderlich sein kann. Diesen absoluten Anspruch an Authentizität für sich selbst einzufordern, wirkt also auch mit dem Rückblick auf die gesammte Serie etwas unpassend. Mit dieser Einstellung lädt sich Age of Empires IV eine große Bürde auf, die es eventuell gar nicht tragen kann… oder auch muss? Denn es stellt sich natürlich auch die Frage, warum das Spiel diese Fesseln der Authentizität bewusst anlegt.
Ein Argument ist hierbei, wie bereits erwähnt, der Gedanke des besseren Marketings. Spiele wie Kingdom Come: Deliverance haben gezeigt, dass es eine enge Symbiose zwischen der beworbenen historischen Authentizität und den Vorstellungen der Spieler*Innen von dem im Spiel dargestellten Szenario gab. Sprich: Das Spiel muss gut sein (bzw. werden), da die Entwickler hier nichts falsch wiedergeben wollen. Und so eine positive Wahrnehmung ist dann auch oftmals ein Kaufgrund. Daher lohnt es sich auch bei Age of Empires IV, einen vertieften Blick in die Community der Serie und ihre Vorstellung von Authentizität innerhalb der Serie zu werfen.
So überprüfen z.B. viele bekannte Age of Empires-YouTuber*Innen in verschiedenen Videos, wie „genau“ Geschichte in Age of Empires wiedergegeben wird. So schaut sich der YouTuber Shadiversity an, ob die Burgen in Age of Empires II „realistisch“ aussehen. Ein anderer YouTuber, Spirit of the Law, setzt sich in seiner Serie „AoE2 vs History“ vor allem mit einzelnen Völkern bzw. deren Kampagnen (z.B. mit den Teutonen) auseinander und überprüft dabei, wie „nahe“ diese an der Realität sind. Solche Videos zeigen, dass es in der Community nicht nur ein Interesse, sondern eben auch einen Wunsch nach historischer Authentizität gibt. Kernbotschaft vieler dieser Videos ist nämlich, dass Age of Empires grundsätzlich als „realistisch“ einzuschätzen wäre. Als Kriterien werden hier vereinzelt unterschiedliche Elemente herangezogen, an welchen dann wie bei einer Laborprobe der „Grad“ der Authentizität geprüft wird. Frei nach dem Motto: Ein Bild einer mittelalterlichen Burg in Deutschland hatte einen solchen Turm -> Eine deutsche Burg in Age of Empires hat ebenfalls einen solchen Turm -> Das Spiel ist historisch authentisch! Wie bei einer Checkliste werden dann verschiedene Punkte abgearbeitet, bis man schließlich zum oben genannten Fazit kommt. Im Fokus dabei steht vor allem das „Überprüfen“ von Daten und Fakten (Gab es diese Person/dieses Ereignis wirklich?) und das Erläutern der Boni der einzelnen Völker (Wie lässt sich ein bestimmter Bonus „historisch begründen“?). Auffällig ist hierbei, dass diese Analysen sehr kleinteilig ausfallen und großflächige Strukturelemente wie Gesellschft und Kultur größtenteils außer Acht lassen. Historische Genauigkeit wird dort sehr selten anhand der im Spiel dargstellten (oder möglicherweise weggelassenen) Gesamtstruktur gemessen, sondern in einer Überprüfung verschiedener Einzelkriterien. Dadurch implizieren diese Videos, dass so etwas wie historische Authentizität dadurch erreicht werden könne, wenn man in bestimmten Details genau arbeite. Gleichzeitig gehen sie, wie auch die Entwickler*Innen des vierten Teils, davon aus, dass historische Genaugkeit etwas ist, was irgendwie gemessen werden kann.

Alleine dieses Anspruchsdenken zeigt die Problematik, welcher auch schon andere Spiele ausgesetzt waren (oder sich eben selbst ausgesetzt haben!): Was passiert, wenn man von Seiten der Community damit konfrontiert wird, wenn man in einem bestimmten Bereich eben nicht „historisch korrekt“ handelt? Die Meinung der Community ist den Entwickler*Innen bei Relic Entertainment durchaus wichtig, was sich u.a. daran zeigt, dass es einen regen Austausch mit Fans gibt.
Wir haben 2017 das Community Council ins Leben gerufen, es nach Vancouver geholt, den Mitgliedern alles gezeigt und eine erste Version spielen lassen. Sie haben uns gesagt, was sich wie „Age“ anfühlt und was nicht. Wir sind mit ihnen noch regelmäßig im Austausch: im Forum, durch das Community-Team oder Umfragen.
Quinn Duffy, Game Director · Relic Entertainment Inc.
Neben der Tatsache, dass es keine konkreten Informationen darüber gibt, wer genau Mitglied dieses Community Councils ist, wird aber deutlich, dass der Kontakt zu den Fans von Seiten der Entwickler*Innen aktiv gesucht wird. Age of Empires besitzt auf nahezu allen relevanten Social Media-Plattformen eigene Seiten und auch ein eigenes Forum, in welchem Fans der Serie sich austauschen können. Von der Idee, Fans hierüber eine Möglichkeit zu bieten, aktiv an der Gestaltung des Spiels mitwirken zu können, wird dabei auch durchaus Gebrauch gemacht… um eben unter dem Mantel der historischen Authentizität Kritik zu üben. So wird z.B. in einem Thread über Erwartungen zu Age of Empires IV die „nicht wirklich authentische Sprache“ der Chinesen kritisiert. In einem anderen Thread wird bezüglich Age of Empires III kritisiert, dass man durch eine Veränderung der Darstellung der Völker der amerikanischen Ureinwohner*Innen nun „politically correct“ werden und die SJWs zufriedenstellen wolle. Gerade das Thema Hautfarbe wird dabei auch immer wieder aufgegriffen, wenn sich bspw. darüber aufgeregt wird, dass dunkle Hautfarbe bei schwedischen Figuren eben nicht geändert würde.

Natürlich lautet der Threadtitel hier… Historical Accuracy. Auch auf andern Plattformen zeigen sich Posts, die in die ähnliche Richtung gehen. Im Rahmen des Women’s History Month wurden z.B. auf der Facebook-Seite von Age of Empire II DE mehrere Posts abgesetzt, in welchen an historische weibliche Persönlichkeiten erinnert wurde, die auch in der Serie auftauchen. Neben dem Lob für diese tolle Aktion, gab es aber auch Kritik, der ebenfalls in die vorher aufgezeigte Richtung ging: Man entferne sich durch solche Aktionen von der Authentizität, um stattdessen durch „wokeness“ oder „political correctness“ aufzufallen. Gerade letztere Begriffe sind typische Vorwürfe, die in historischen Authentizitätsdiskussionen immer wieder auftauchen, um dahinter die eigene politsch rechte Agenda als gerechtfertigt vorzubringen.

Solche Beispiele können aufzeigen, in welche problematische Richtung sich Spiele (und die Debatten darüber) entwickeln können, wenn man den Fans eine möglichst große historische Authentizität verspricht. Gerade eine Serie wie Age of Empires, wo Geschichte quasi der „Markenkern“ ist, muss mit dem Hintergrund einer sehr geschichtsinteressierten Community darauf achten, sich nicht zu sehr darauf zu fokussieren, alles realistisch machen zu wollen. Denn dann öffnet man die Türen dafür, unter dem Deckmantel der Authentizitätsdebatte in gefährlich rechtes Fahrwasser zu gelangen. Beispiele wie Kingdom Come: Deliverance, Rome II: Total War oder eben Battlefield haben diese Problematik aufgezeigt. Age of Empires IV sollte sich in diesem Kontext nicht in diese Reihe einreihen und sich selbst dahingehend „fesseln“, dem Streben nach Authentizität alles unterzuordnen. Eine gute Spielwelt lebt nicht davon, dass man dass eine Figur genau die Kleidung aus einer (!) bestimmten Quelle trägt oder dass eine Rüstung einem Modell aus dem Jahr 1345 originalgetreu nachempfunden ist. Sondern sie lebt von ihrer Stimmigkeit, ihrer allgemeinen Darstellung und dem in ihr implementierten Gameplay.
Der Anspruch, für ein Spiel möglichst viel Nachforschung zu betreiben, um die historische Vielfalt besimmter Völker und Epochen besser darstellen zu können, ist löblich. Das möchte ich an erster Stelle einmal festhalten. Dasselbe gilt für das Bestreben, eine regen Austausch mit der Community führen zu wollen, um den Fans einen möglichst würdigen Nachfolger für die großen Fußstapfen der Serie präsentieren zu können. Schwierig wird es in diesem Fall, da damit ein Anspruch an sich selbst gestellt wird, welcher gar nicht eingehalten werden kann: Das ganze Spiel soll historisch korrekt dargestellt werden. Hier läuft Age of Empires IV möglicherweise Gefahr, sich zum einen selbst zu übernehmen, sich zum anderen in unnötige Debatten zu begeben, was denn nun authentisch korrekt wäre. Denn andere Spiele haben gezeigt, dass die Diskussionen über vermeintliche historische Authentizität nicht nur sehr toxisch geführt, sondern auch von rechten bis rechtsextremen Strömungen gekapert wurden. Spiele wie Crusader Kings III haben sich bereits vor der Veröffentlichung sehr klar von diesem Authentizitätsanspruch verabschiedet und schon vorab verdeutlicht, dass sie keine „authentische“ Welt zeigen wollen, sondern ihre freie Interpretation des Mittelalters, wobei die Entwickler*Innen eben nicht an populäre (= als authentisch empfundene) Vorstellungen gebunden sind.
Age of Empires IV soll in diesem Herbst erscheinen. Insofern stehen uns noch einige Monate bevor, in welchen wir nach und nach immer mehr Informationen über das Spiel bekommen werden. Die Diskussionen darüber werden zeigen, welche Auswirkungen das Versprechen einer „realistischen“ Darstellung haben wird. Stand jetzt scheint Relic Entertainment eine ausgewogene Mischung aus kreativer Freiheit und den angesprochenen Fesseln der historischen Authentizität zu finden. Hoffen wir, dass dies so bleibt, damit wir im Herbst eine fantastische Reise in den neusten Teil der Age of Empires-Serie wagen können. Was man bis dahin machen kann? Gute Frage… eventuell erstmal was essen gehen? Hier im Ort gibt es ein gutes griechisches Restaurant. Natürlich mit authentischer Küche…
Quellen und Literatur
Interview mit den Entwickler*Innen von Age of Empires IV (t-online.de)
Wie realistisch ist Assassin’s Creed Valhalla? Das sagen Historiker (gamestar.de)
Wegen weiblichen Generälen: Fans bombardieren Total War: Rome 2 mit negativen Kritiken (ign.de)
Battlefield 5: Die alte Leier von der Authentizität – Kolumne (pcgames.de)
Das „authentischste“ Historienspiel aller Zeiten?! Die gewaltige Schräglage von „Kingdom Come: Deliverance“ (Let’s Play History)
Historiker analysieren Kingdom Come – Zwischen Realismus und Verklärung (gamestar.de)
Mittelalter digital erleben – Authentizität in Videospielen (teilzeithelden.de)
Videospiele und die Deutungshoheit über Geschichte (geekgefluester.de)
Ein Gedanke zu “Age of Empires IV – In den“Fesseln“ der historischen Authentizität?”