Gott will, Paradox nicht? – Crusader Kings III und die Deus Vult-Problematik

Selbst wenn man in der Schule kein Latein gehabt hat, wird man sich durch den Geschichtsunterricht an die ein oder andere Phrase sicherlich erinnern: z.B. Cäsars veni, vidi, vici, womit er kurz und knapp seinen Sieg in der Schlacht bei Zela kommentierte. Wer sich mit der Glaubensspaltung in der Frühen Neuzeit beschäftigt hat, wird kaum an cuius regio, eius religio vorbeigekommen sein: wessen Gebiet, dessen Religion. Ein Zitat, welches sich ebenfalls in diese Reihe einordnet, stammt aus dem Jahr 1095. Zu dieser Zeit befand sich ein Großteil von christlichen Glaubensstätten im Nahen Osten in den Händen von muslimischen Herrschern, zudem wurde das christliche Byzanz von den Seldschuken bedroht. Um der „muslimischen Gefahr“ entgegenzutreten, entscheid sich der damalige Papst Urban II., einen Kriegszug zu „Befreiung der Christenheit“ auszurufen, welchem sich die führenden Herrscher Europas anschließen sollten. In einer sehr dramatischen Rede soll er dabei auch einen Satz gesagt haben, welcher später zum Motto dieses und kommender Kreuzzüge werden sollte: Deus (Io) vult! – Gott will es!

Über 100.000 Europäer folgten diesem Aufruf und eroberten im Jahr 1099 schließlich Jerusalem. Bis in das 15. Jahrhundert hinein sollten noch viele weitere Kreuzzüge mit unterschiedlichen Zielen und Motivationen folgen, die (langfristig gesehen!) alle eher unerfolgreich blieben. Das Recht, Gewalt gegen Andersgläubige einzusetzen, legitimierten die Kreuzfahrer dabei immer durch den oben erwähnten Ausspruch: Es sei im Sinne Gottes, im Namen des Christentums zu kämpfen.

Aber auch abseits der Kreuzzüge wurde dieses Zitat in den folgenden Jahrhunderten immer wieder aufgegriffen, sofern es irgendwo mehr oder weniger Parallelen zur „Verteidigung des christlichen Abendlandes“ gab. Der Begriff überlebte somit seinen direkten historischen Kontext. Als dann im Jahr 2004 der erste Teil der Crusader Kings-Serie erschien, welcher in jener Zeit der Kreuzzüge angesiedelt war, wurde der Ausspruch im Spiel schnell zum geflügelten Wort. Immerhin implizierte ja der Titel schon, dass es hier darum gehe, sich in die Rolle eines Kreuzfahrerkönigs hineinzuversetzen. Im Jahr 2007 erschien dann eine „passende“ Erweiterung mit dem Titel Deus Vult, bevor 2012 schließlich Crusader Kings II veröffentlicht wurde.

Crussader Kings
Hoch das Kreuz! – Das „Complete Pack“ von Crusader Kings spart nicht mit christlicher Symbolik.

Als im Jahr 2019 dann der dritte Teil der Serie für das Jahr 2020 angekündigt wurde, waren die Fans voller Vorfreude, endlich wieder auf die mittelalterlichen Schlachtfelder im Nahen Osten ziehen zu können. Doch eine Sache sollte dieses Mal anders sein: Der Satz Deus vult sollte nicht mehr im Spiel enthalten sein, ja sogar „zensiert“ werden! Als Grund wäre angegeben wurden, dass dieser Satz mittlerweile zu eng in einem politisch-rechten Kontext stehe. Das hinderte viele Fans der Serie jedoch nicht daran, sich über das Entfernen des vielleicht „wichtigsten“ historischen Zitats bezüglich der Kreuzzüge aufzuregen. Doch welche Seite hat nun „recht“? Können historische Zitate „gekapert“ werden? Und wie sieht der richtige Umgang mit einem solch problematischen Zitat aus?

Rein oder nicht rein? – Das ist hier die Frage

Um die ganze Situation erst einmal einordnen zu können, lohnt es sich, einen chronologischen Blick auf die Entwicklungen zu werfen. Am 19.10.2019 wurde auf der Website Rock, Paper, Shutgun ein Artikel über Crusader Kings III veröffentlicht. Im Prinzip wurden hier nur zehn Fakten über das Spiel zusammengefasst, die bereits über das Spiel bekannt sein sollten. Nichts Besonderes soweit. Doch neben Punkten wie dem Erscheinungsdatum oder einem leichteren Zugang als bei den Vorgängern fand sich unter Punkt 6 auch die Information, dass das Spiel den Satz Deus Vult nicht mehr beinhalten werde. Hierbei wird als Begründung auch gleich die beliebte Verwendung in rechtsextremen Kreisen herangezogen.

No Deues Vult
Der Stein des Anstoßes…

Dieser Abschnitt sollte nun schnell für die oben erwähnte Kontroverse sorgen. Andere Magazine griffen diese Meldung auf und es entstanden schnell zahlreiche Diskussionen über diese „Entscheidung“. Daraus entwickelte sich widerum ein regelrechter Shitstorm, der sich (der Argumentation nach) daran störte, dass man hier der „historischen Authentizität“ (zur generellen Problematik dieses Begriffs verweise ich auf den folgenden Beitrag) schade, indem man diesen wichtigen Satz einfach so streiche. Sogar von Geschichtsfälschung war hier teilweise die Rede. Auf jeden Fall führte dieser Shitstorm dazu, dass sich Entwickler Paradox Interactive dazu genötigt sah, eine Stellungnahme zu dieser Kontroverse abzugeben. In dieser äußerte sich Henrik Fåhraeus, Game Director bei Paradox Interactive, dahingehend, dass man bezüglich dieser Angelegenheit noch keine Entscheidung getroffen hätte. Gleichzeitig sprach er von einer „Misskommunikation“. Eine Beruhigung in dieser Situation erfolgte aber nur minimal, sodass bis heute kontrovers über diese Frage diskutiert wird. Das Spiel soll nun bereits in 2 Wochen erscheinen, sodass für eine ausführliche Klärung nicht mehr allzu viel Zeit bleibt. Es entsteht der Eindruck, dass sich Paradox Interactive hier vor einer klaren Entscheidung drücken möchte. Doch warum eigentlich?

Stellungnahme
… und die dazugehörige Stellungnahme.

Ein mahnendes Vorbild

Die Debatte um Crusader Kings III erinnert in gewisser Weise an Kingdom Come: Deliverance. Auch dort sorgte die Frage, inwiefern die dort nach eigenen Angaben „authentisch“ dargestellte Welt eines „weißen Mittelalters“ am Ende nur dazu diene, politisch-rechte Weltvorstellungen in einem Spiel unterzubringen.  Doch es gibt einen zentralen Unterschied: Während bei Kingdom Come: Deliverance kritisiert wurde, was im Spiel enthalten ist, entzündet sich die Kritik bei Crusader Kings III daran, was aus dem Spiel (angeblich) entfernt werden soll. Hier wird der Bezug zu den rechten Weltvorstellungen nicht durch die Entwickler geschaffen, sondern durch den Kontext eines Zitats, welches bereits zum Inventar dieser Serie gehört. Insofern reagieren die Entwickler mit dem Streichen von Deus Vult nur auf eine Entwicklung, die innerhalb der letzten Jahre stattgefunden hat. Diese Entwicklung macht es nämlich kaum möglich, den Satz lediglich in seinem historischen Kontext verwenden. Er ist nämlich in den letzten Jahren zu einer Art Sammelbegriff rechter und rechtsextremer Bewegungen geworden, die auf ihn einen fiktiven Auftrag der Verteidigung des Christentums projizieren.

Im Zentrum dieser Vorstellung steht dabei der Gedanke, dass das Christentum heute in einem globalen Wettkampf mit dem Islam stehe, welcher das Christentum auslöschen wolle. Dementsprechend müssten das Christentum und seine Werte verteidigt werden. Diese Verteidigung des „christlichen Abendlandes“ greift dabei auf die romantisierten Vorstellungen der Kreuzfahrerzeit zurück: Tapfere, edle und mutige Krieger befreien die eroberten Gebiete aus den Händen der „bösen“ Muslime. Damals wie heute gelte dabei derselbe Schlachruf: Deus Vult! Besondere Verbreitung fand dieses Bild dabei im Rahmen des US-Wahlkampfes 2016, in welchem es von Seiten der Anhänger Donald Trumps immer wieder aufgegriffen wurde.

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Trump vult? – Trump-Anhänger protestieren 2017 in Charlottesville u.a. mit einem Deus Vult-Schild. (Quelle: NHPR)

Crusader Kings III hat nun das Problem, dass es gewissermaßen zwischen den Stühlen sitzt. Auf der einen Seite gibt es eben diesen historischen Kontext, in welchem Deus Vult untrennbar mit der Zeit der Kreuzzüge verbunden ist. Auf der anderen Seite gibt es den heutigen Kontext, in welchem Deus Vult dagegen in einem klar rechtsextremen und islamophoben Kontext steht. Beide Seiten sind unmittelbar mit demselben Satz verbunden, weshalb es unmöglich ist, beide voneinander zu trennen. Das Argument der Historizität funktioniert durch die „Neuinterpretation“ der Gegenwart nicht mehr. Hier gibt es nun die Möglichkeit, diesen Satz entweder komplett aus dem Spiel zu streichen, um sich klar von dem rechtsextremen Gedankengut abzugrenzen oder ihn trotz der Problematik im Spiel und sich somit den Vorwurf der fehlenden Distanzierung von rechtsextremen Positionen gefallen zu lassen. Und bei dieser Abwägung wäre eine Bestätigung des Entfernens dieses Satzes genau der richtige Weg gewesen! Denn ein Nachgeben gegenüber rechtsextremen Kräften in dieser Sache wäre ein fatales Zeichen für die Gesellschaft.

Im Zwiespalt der Geschichte

Öffentliche Debatten über Geschichte sind fast immer an politische oder gesellschaftliche Vorstellungen geknüpft. Kaum eine Diskussion über historische Themen ist in einem rein wissenschaftlichen Interesse begründet, sondern sie besitzt oftmals auch einen politischen Hintergrund. Deshalb ist es wichtig, sich bei der Diskussion unterschiedlicher Positionen auch der möglichen Intention der jeweiligen Argumentationen bewusst zu sein. Dies gilt auch bei Crusader Kings III, denn die Frage, wieso das für das „reine“ Spiel vollkommen unwichtige Streichen eines Satzes eine solche Kontroverse aufwirft, lässt sich eben nicht damit beantworten, dass hier ein Wunsch nach „historischer Authentizität“ vorhanden ist. Denn es gäbe genügend andere Punkte, über welche man wesentlich breiter diskutieren könnte (alleine über die Ansiedlung homogener Kulturen in festen Grenzen könnte man ganze Aufsätze schreiben). Insofern stellt sich die Frage, welche Intention hinter dieser Diskussion steckt. Und schaut man sich die Argumentationen eines Großteils derjenigen an, welche sich gegen ein Streichen aussprechen, wird der oben angesprochene rechtsextreme Hintergrund allzu deutlich.

In den Kommentarspalten verschiedener Videos, in welchen über die „Zensur“ von Crusader Kings III gesprochen wird, finden sich in den Kommentarspalten eben kaum Diskussionen über die historische Bedeutung dieses Satzes, sondern es werden verschiedene politische Vergleiche zu anderen Themen gezogen, die allesamt in einen rechtsextremen Kontext einzusortieren sind. So beschwert sich ein User bspw. darüber, dass hier ein christlicher Satz gestrichen werde, während „islamische“ Begriffe erhalten blieben (I’m sure Islam still has Jihad […] ?). Diese Islamophobie zeigt sich auch in einem anderen Kommentar, welcher die Entscheidung dahingehend kommentiert, dass das Spiel nun „Jihad-Simulator“ genannt werden könnte (Call the game Jihadists Sultan III). Ein anderer User sieht in dieser Entscheidung ein Nachgeben gegenüber „Leuten“, die sowieso kein Interesse an dem Spiel hätten (I dont get why these companies pander to people who would never buy their product). Eine klare Anlehnung an das rechte Narrativ des übertriebenen Nachgebens gegnüber Political Correctness. Dies wird auch an anderer Stelle erwähnt (this political correctness in games is insane, companies need to get a backbone and stand up to the twitter mob). Eine generelle Ablehnung von Vielfalt ist dabei erkennbar, wenn von den dark gods of diversity (You forget, it is Swedish company and you must sacrifice everything for the dark gods of diversity.) gesprochen wird. Ebenfalls finden sich Forderungen, sich das Spiel, wie es „früher“ einmal war, zurückzuholen (…THATS IT!!! WHO WILL JOIN ME IN CRUSADE PARDOX NEEDS TO BE RETAKEN!!! DEUS VULT!!!). Gerade das Verklären der Vergangenheit, die in irgendeiner Form zurückgeholt werden soll, ist ebenfalls ein typisch-rechtsextremes Motiv. Abgesehen von den hier genannten Beispielen kann man bei Reddit oder gleich direkt im dazugehörigen Steamforum ähnliche Beiträge auf derselben „Argumentationsbasis“ finden.

kommentare
Ein braunes Potpourri – nahezu die gesamte „Debatte“ um die mögliche Streichung von Deus Vult lässt rechtsextreme Hintergründe deutlich werden. 

An dieser Stelle sei gesagt, dass es natürlich auch seriösere Diskussionen zu dieser Debatte gibt und die differenzierten Beiträge zu diesem Thema durchaus gelungen sind. Einen wunderbaren Beitrag dazu findet ihr hier. Aber der große Tenor der Kritiker versammelt sich unter dem oben zitierten Banner, in welchem alle politisch-rechtsextremen Vorstellungen ihre Heimat finden. Das zeigt, dass es in der Debatte um Deus Vult eben nie um die Frage nach „historischer Authentizität“ ging. Sondern vielmehr lag es im Interesse, dass eigene rechtsextreme Weltbild aufrecht erhalten zu können, welches durch solche Entscheidungen kaputt gemacht zu werden drohte. Deutlich wird dies übrigens auch daran, dass nach der Ankündigung, im Spiel mit bi- oder asexuellen Herrscher*innen spielen zu können, DIESELBEN „Argumente“ in Form eines Shitstorms vorgetragen wurden: Das Spiel sei nicht mehr „authentisch“ und von „politischer Agenda“ unterwandert.

(K)ein mutiger Schritt?

Mit der Entscheidung, Deus Vult aus dem Spiel zu entfernen, hätte Paradox diese rechtsextreme Verbindung gekappt und eine klare Position in dieser Debatte bezogen. So wirkt es leider so, als wolle Paradox eine Debatte vermeiden, um einen erfolgreichen Start des Spiels nicht durch einen Shitstorm zu gefährden. Diese Position ist aus wirtschaftlicher Sicht sicherlich nachzuvollziehen, sie wirft aber gleichzeitig die Frage über die gesellschaftspolitische Rolle von Videospielen auf. Spiele wie zuletzt Through the Darkest of Times haben zuletzt gezeigt, wie man auch als historisches Videospiel eine gesellschaftlich wichtige Botschaft vermitteln kann. Nun hat Crusader Kings III zwar einen etwas anderen Anspruch, aber Entscheidungen wie das Implementieren von bi- bzw. asexuellen Herrscher*Innen zeigt, dass sich Paradox in die richtige Richtung bewegt. Insofern ist die fehlende Positionierung in dieser Frage sehr zu bedauern, vor allem aufgrund der klar rechtsextremen Intention, die sich in dieser Debatte verbirgt. Da es momentan auch nicht danach aussieht, dass eine Klarstellung vor dem angestrebten Release am 01.09.2020 erfolgt, bleibt also nur abzuwarten, ob es Deus Vult nun in das Spiel geschafft hat oder nicht. Um es wieder mit dem Lateinunterricht zu sagen: Tempus ipsum affert consilium – Kommt Zeit, kommt Rat!

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Quellen und Artikel

Crowley, Nate: Crusader Kings 3 is happening: here’s ten things we know so far. (https://www.rockpapershotgun.com/2019/10/19/crusader-kings-3-is-happening-heres-ten-things-we-know-so-far/)

Tharoor, Ishaan: Some Trump supporters want a holy war. (https://www.washingtonpost.com/news/worldviews/wp/2017/06/11/some-trump-supporters-want-a-holy-war/)

Die zitierten Kommentare entstammen den folgenden YouTube-Videos:

Crusader Kings 3, Deus Vult Censored and is this Really a Good Idea?

CK3 Deus Vult and Hot Takes! Why it’s being Removed and Why Removing it is Silly!

 

 

 

5 Gedanken zu “Gott will, Paradox nicht? – Crusader Kings III und die Deus Vult-Problematik

  1. Hervorragender Artikel. Die Debatte um den Begriff ist ehrlich gesagt komplett an mir vorbeigegangen, weil ich wochenlang rechercherchierend und schreiberisch mit dem neuen Microsoft Flight Simulator beschäftigt war. Daher danke für die Zusammenfassung und Einordnung.

    Die politische Rolle, die jedes Spiel einnimmt, wird leider von Entwickler*innen nur selten öffentlich aktiv diskutiert. Der Wunsch vieler Spieler*innen, dass Spiele unpolitisch sein mögen, wird so noch bestärkt. Dabei wird gesellschaftliches Potenzial von Spielen verkannt und ihre dennoch vorhandene Wirkung verleugnet oder weggewünscht. Ersteres ist schade, letzteres nicht zeitgemäß.

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